Derzeit ist der Monat Ramadan, für mich die intensivste Zeit des Jahres. Da ich weder Geburtstag noch Weihnachten feiere, gibt es keine wirkliche Jahreszeit, die mit einem festen Ritual verbunden ist. Deshalb verspüre ich immer eine Vorfreude, wenn ich mit dem Fasten beginnen kann.
Der Monat Ramadan – dieses Mal vom 13. September bis 11. Oktober – bedeutet für mich nicht nur der Verzicht auf Essen und Trinken während des Sonnenstands, sondern auch Zeit, um tiefer in mich zu gehen. Obwohl ich das bereits jeden Tag tue, achte ich im Ramadan besonders darauf. Das Fasten selbst war noch nie ein Problem für mich, wesentlich anstrengender sind die ständigen Kommentare. Etwas, was mich mit jungen Konvertiten verbindet. Es wird einem nachgesagt, dass man ein Fanatiker ist. Dem entgegne ich, dass mein Fasten viel weniger religiöser, sondern persönlicher Natur ist. Überhaupt: Warum sieht man gar nicht die Willensstärke hinter dem Fasten? Was will man aber auch anderes von den Menschen erwarten? Manch einer nennt mich „Öko“, weil ich täglich Sojamilch trinke – onwohl hier meine Laktoseintoleranz vordergründig ist, genau wie andere Aspekte, die aus einer gesundheitsbewussten Ernährung resultieren. Und selbst wenn ich dies tun würde, weil ich davon überzeugt bin, dass Kühe nicht an Melkmaschinen gehören: Was ist das Problem? Ich gehöre damit nicht zu den militanten Aktvisten, die zweifelhafte Methoden zur Durchsetzung ihrer Ideale anwenden.
Ich bin keiner von denen, die während des Fastens klagen und jammern. Ich neige auch nicht dazu, meine Arbeit oder meine privaten Angelegenheit langsamer oder ruhiger angehen zu lassen. Ganz im Gegenteil: Ich gebe weiterhein mein bestmöglichstes um das geforderte Ziel zu erreichen. Der Frage: „Wie schaffst du das?“ weiß ich nichts zu entgegnen: Ich erkenne das Problem gar nicht.
Meine Ernährung ist mehr oder weniger strikt. Ich trinke Sojamilch, Wasser, Tee und Säfte (bevorzugt Apfelsaftschorle). Manchmal gönne ich mir einen Espresso, was aber auch sehr stark nachgelassen hat. Ich esse wenig Fleisch, in erster Linie Geflügel und Fisch bzw. Meeresfrüchte. Rindfleisch ist eine Seltenheit geworden, Schweinefleisch ein Tabu. Früchte sind fester Bestandteil. Schokolade, da esse ich meistens einen Riegel mit Vollkorn, selten mal Bitterschokolade. Milchschokolade, Gummibärchen und der Rest finden keinen Platz mehr. Ansonsten bilden Müslis, (Soja)puddings, Brot und Reis einen weiteren Bestandteil meines Ernährungsplans.
Durch meine Art und Weise des Essens, betreibe ich auch das Fasten mit einer gewissen Leichtigkeit. Mein Magen knurrt nicht, meine Kehle wird nur durch das häufige Telefonieren trocken. Aber hier wird mir eines deutlich bewusst: No es ningún mérito noble (es ist keine noble Leistung).
Es ist keine noble Leistung, weil es keine Leistung erfordert. Der erste Tag – ich gebe zu – war eine gewisse Umstellung. Ansonsten empfinde ich es nicht als Anstrengung: Erst heute war ich wieder 20 Minuten gemeinsam mit dem Hund meiner Schwester joggen. Ich war danach nicht erschöpft, auch wenn ich seit über 12 Stunden nichts mehr getrunken und gegessen hatte.
Ich möchte keine Bewunderung bei den Lesern hervorrufen, denn ich persönlich empfinde keinen Stolz für mein Handeln. Im Gegenteil, es stimmt mich sehr nachdenklich. Verzicht, das kann ich nicht bloß mit dem Fasten verbinden. Ich verzichte auch auf andere Dinge… und damit meine ich nicht die Kuhmilch…
Karl Lagerfeld, für mich besonders durch seine Eigenwilligkeit ein prägender Charakter, sagte einmal: „Für mich ist Einsamkeit der Höhepunkt des Luxus. Ich brauche Zeit für mich selber, sonst wäre ich nicht das, was ich bin.“ Auch für mich gilt das. Diese Sätze und andere sind es, die mich beflügeln, gleichzeitig aber auch an den Abgrund treiben – vor dem Abgrund muss ich mich nicht fürchten, meinen Flügeln sei dank. Mit diesen Gedanken beziehe ich klare Stellung zu zwei, für viele zentrale Werte: Liebe und Gemeinschaft. Ganz klar: Ich hasse weder Liebe noch Gemeinschaft, ich arbeite nicht gegen sie und hege keinerlei Pläne dieser Art. Ich unterstütze die Gemeinschaft, spende Geld und leiste Menschen seelischen Beistand. Dennoch pflege ich es, Abstand zu halten und nicht zu privat zu werden, zumindest nicht öffentlich offensichtlich.
Der ein oder andere wird sich denken: „Oh Gott, wie kann man so glücklick werden, ist das nicht schrecklich allein?“ Es gibt Momente, da geht es mir in der Einsamkeit nicht gut, doch in der Gesellschaft, da geht es mir noch schlechter. Es hat nichts mit fehlenden Möglichkeiten zu tun, auch was die Liebe angeht, gilt das nicht. Jeden Tag begegne ich Frauen, alle für sich begehrenswert, die ein oder andere auch an mir interessiert. Gott weiß auch, welche Unternehmungen ich veranstaltet habe; Zweisamkeit bei Kerzenschein, kein Einzelfall. Unzählige Zeilen darüber in meinem Tagebuch. Gedichte, die mehr als nur ein Herz gebrochen haben.
Ich versuche mich zu erinnern, an die Zeiten, in denen Liebe mehr als nur ein Gedankengang war, in greifbarer Nähe. Zarte Annäherungsveruche entflammen Herzen, schaffen Abhängigkeit. Trunken, nicht vom Wein, sondern vom Weib – ein wohliges Gefühl im Bauch, was bei mir aber schnell der ernüchternen Einengung weicht. Denn es bleibt nicht bei einem Spaziergang in mondener Nacht, sondern sucht seine Fortsetzung. Telefonate folgen, zerstören das sinnliches Verlangen durch Gespräche voller Floskeln. Was mir zu viel wird, ist dem anderen zu wenig. Wer außer mir sollte es verübeln? Wenn man den anderen liebt, will man jeden Atemzug gemeinsam verbringen. Andere bezeugen das in erster Linie durch den Austausch von Worten, für mich liegt die Ästhetik in simplen Gesten… Vielleicht bin ich auch nur gefangen in meiner eigenwilligen Welt, die sich von Gedichten, Melodien und Kunstwerken nährt.
Un romántico sin esperanza – ein hoffnungsloser Romantiker oder ein Romantiker ohne Hoffnung? Letztenendes, ojala, kann auch ich nicht die Zukunft bestimmen. Ich vertraue auf das Schicksal, möge Gott für mich entscheiden. Derzeit ist die Einsamkeit für mich der bestmögliche Zustand. Zugeständnisse oder Kompromisse kommen nicht in Frage. Die halbe Welt arrangiert sich mit den Umständen, für mich unerträglich.
„Die Beobachtungen und Begegnisse des Einsam-Stummen sind zugleich verschwommener und eindringlicher als die des Geselligen, seine Gedanken schwerer, wunderlicher und nie ohne einen Anflug von Traurigkeit. Bilder und Wahrnehmungen, die mit einem Blick, einem Lachen, einem Urteilsaustausch leichthin abzutun wären, beschäftigen ihn über Gebühr, vertiefen sich im Schweigen, werden bedeutsam, Erlebnis, Abenteuer, Gefühl. Einsamkeit zeitigt das Originale, das
gewagt und befremdend Schöne, das Gedicht. Einsamkeit zeitigt aber auch das Verkehrte, das Unverhältnismäßige, das Absurde und Unerlaubte.“
Thomas Mann, „Der Tod in Venedig“