Regenbogenschwarz (Intermezzo)

Dritte Nacht

Traumlos erwachte er und mit dem Augenschlag war da dieses Gefühl der Anspannung; Kanonenlauf zwischen den Zähnen. Kalt und blau fühlte es sich an; der Raum war noch dunkel und so in ihm. Er war auf dem aschgrauen Ledersofa eingeschlafen. Seine Haut zog sich unter einem leichten Schmerz ab, den der Angstschweiß in der Nacht hinterlassen hatte mit seinen ausgestrunkenen Fieberträumen. Noch benommen ging er in das Badezimmer, sein erster Blick fiel in den Spiegel. Die Leere wurde kurz gedämpft, wenn er sein Antlitz sah; Körper eines Kriegszerstrümmerten; Narben und Zeichnungen, die letztlich Kompass für ihn waren. Als hätte er erwartet nach dieser Nacht nicht mehr zu sein. Die kalte Dusche holte ihn in diese Welt zurück. Haferflocken, Magensiumoxid, Gingkium-Tabletten und Pulver von Matcha Hidori, als würde es seinen gottlosen Lebensstil übertünchen. Als würde es die vielen Stunden Gräuel wettmachen können. Die Stille des Morgens wurde unterbrochen von dem Lärm der zerberstenden Kaffeebohnen; dem Siebträger den er kurz anschlug. Ein Kribbeln fuhr in seine Finger während dieser Zeremonie, sein konzentrierter Blick lag auf der Tasse und der braunen Crema, die sich darin bildete. Bedächtig schloss er die Knöpfe seines Hemds, während er ein letztes Mal in das Bad schritt. Geistgleich massierte er das Balsam in seinen schwarzen Bart, knetete sein Gesicht und musterte sich im Spiegel genau. Ausdruckslos glitt er mit seinem Kamm durch die Haare, auf dass sich sein Muster einstellte.

Er ging nach draußen, inzwischen war das erste Sonnenlicht am Horizont zu erkennen. Es waren stille Tage. Zugvögel noch nicht zurückgekehrt. Er ging am Bordstein entlang, während die Kälte seinem Atemhauch eine blasse Form gab. Er hatte sein Auto erreicht; eine meteorgraue Bestie, kraftvoll stand sie da mit ihren Stromlinienformen, als ob sie zum Sprung ansetzt. Ein Knopfdruck und es flammte im Halbgrauen auf; gleissendes blaues Licht gebrochen vom Dunst. Mit dem Einstiegen setzte sich die Routine fort; bevor er den Motor startete begann er die Musik zu spielen. Gedämpft-verhauchter Jazz, der seine Sinne beruhigte. Geräuschlos, nur der Abrieb der Reifen war vom Wagen zu vernehmen, während der beginnende zarte Klang dumpfer Trompeten den Innenraum erfüllte. Er fuhr zwischen den Hochhausschluchten, in deren Risse Lichtstrahlen hindurchflossen, kurze Momente der Wärme auf dem schwarzen Stoff hinterließen, die Verlassenheit des Morgengrauens vertrieben. An seinen Gedanken änderte es nichts; er bereitete sich auf einen weiteren Tag im rauen Krieg vor, während er vom Äußeren der Stadt ins Innere querte.

Es war nicht der Wecker, der sie an diesem Mittwoch Morgen aus dem Schlaf riss, sondern das morgendliche Licht, welches in den Raum eingefallen war. Sie öffnete ihre Augen, war noch benommen von letzter Nacht. Und sie wusste, dass es nicht vom wenigen Schlaf war, sondern von den Ereignissen, von ihm. „Serafin do Mar Leñador“ sprach sie leise vor sich hin und dieses Mal gleich einem Zauberspruch. Wie betäubt lag sie in ihrem Bett und verdrängte die lärmenden Geräusche von draußen, der Umtriebigkeit der Straße vor dem Fenster, der Emsigkeit der Stadtmenschen auf den Weg wohin auch immer. Sie war verwirrt und verloren von ihren Eindrücken. Tiefe Sehnsucht nach einem Gespenst, das mit aller Sicherheit verschwunden war. Und dabei ihr Herz gestohlen hatte. Hatte er das wirklich? Als wenn sie es abschütteln könnte, wollte sie dem allem mit Verachtung begegnen; machte aus dem schwarzen Wolf in ihrem Kopf einen braunen Schosshund. Er war nur jemand mit fremdländischen Namen, schönem Antlitz und eigenartiger Attitüde. Nur ein Durchreisender in ihrer Stadt und ihrem Leben. Er war es sicherlich nicht, der sie aus ihrer Vergangenheit befreien könnte. Und während sie diese Gedanken beschlichen stockte es in ihrem Herz und es wurde um sie dunkel, sie wusste wie naiv sie war.

Dieser abwendige Gedanke war ein dumpfer Schlag, der sie aus ihren Tagträumen riss. Sie richtete sich auf, blickte auf den Radiowecker und sah, dass es bereits 9 Uhr war. Um 10 Uhr würden die Vorlesungen beginnen. Systematische Theologie, Letztbegründung des Glaubens nach Hansjürgen Verweyen. Emilia griff die letzte Zigarette achtlos aus ihrer Verpackung und öffnete das Zimmer ihres Fensters. Der Lärm der Straße drang ungebremst in den Raum; dröhnende Fahrzeuge vermischt mit feinen Schritten der Menschen, Sprachgewirr. Emilia nahm es nicht war, nur der Zünden ihres Feuerzeugs und das Knistern des Tabaks. Sie nahm einen tiefen Zug in die Lunge und hielt den Rauch tief in der Brust; verstand ihre Geste wie ein Verspottung von Tod und Teufel. Und wie ein Abschütteln des Mannes in schwarz.

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