Regenbogenschwarz: X-te Nacht

Die Schwärze der Nacht war bereits an ihrem höchsten Punkt, als Serafin seine Wohnung betrat. Ein gedimmtes Licht entzündete sich, die Geräte reagierten auf seine Anwesenheit. Nur das rhythmische fordernde Klicken seiner Anzugsschuhe auf dem dunkelbraunen Parkett war zu hören, während er vom Flur ins Schlafzimmer ging. Achtvoll zog er zunächst seine Jacke und das Sakko aus, die er auf dem Herrensekretär niederlegte. Anschließend folgten die Anzugsschuhe, die er in einen Schuhspanner klemmte, dabei die Risse der Gehfalten musterte. Es war für ihn, als wenn er sich des Gestanks der Straße entledigte und seine Rüstung Stück für Stück abblätterte.

Sein Unterhemd ließ er an, der Duft seines Parfüms, dass unter all den Schichten verborgen geblieben war, erfüllte die Luft nach grünem Tee und Olivenholz. Der Wechsel war vollzogen, als er sich eine weite schwarze Leinenhose anzog, die seiner Seele schmiegte und ihm selbst ein neues Bild von sich gab, wie er sich selbst im Spiegel betrachtete. Er brauchte einen Moment, denn nicht nur die kalte Hülle seiner Uniform musste weichen, sondern auch sein innerer Panzer. Als letztes legte er seine Armbanduhr und seinen gravierten Ring in eine glasierte grau-grüne Schale, in der allerlei Kleinod lag. Er blickte sich im gedämpften Licht um, schaute sich die aufgehängten Bilder seines Zimmers an. Sein konzentrierter Blick wanderte von einer grauen Mondschaft, in der die Erde von weitem als Leuchtpunkt zu erkennen war, hinüber zu einem Bild des atlantischen Ozeans, der in stürmisch dunkelblauen Wellen lag, zu einer moosgrünen Waldlandschaft der Taiga. Mit jedem Bild spürte er, wie der Krieg aus seinem Kopf weichte, er Wurzeln schlagen konnte, sein Puls ruhiger wurde. Vom Schlafzimmer aus ging er zunächst an er offenen Küche vorbei; die Espressomaschine war bereits von alleine eingeschaltet.
Die Anzeige des Manometers verriet ihn, dass der Arbeitsdruck noch nicht erreicht war. Diesen Moment nutzte er und schaute sich die verschiedenen Pflanzen in seiner Wohnung an; Calathea hatte bereits zur Dunkelheit begonnen ihre Blälter senkrecht einzuknicken und er konnte neue Triebe erkennen. Ein Blick heraus, er konnte die nächtliche Kälte der langen Fensterfront an sich spüren, getragen von anthrazitfarbenen Rahmen, blickte er hinunter auf die Straßenfront; nur ein verlorenes Hundebellen war gedämpft zu vernehmen. Sein Blick richtete sich ins Wohnzimmer, die dunkle Ledercouch auf der er eingeschlafen war, seine moosgrüne angeraute Militärdecke lag verrungen auf dem Boden. Mit Ehrfurcht blickte er an die blanke Wand, über dem schlichten Fernsehmonitor war ein aschgraues Sturmgewehr der Marke Heckler&Koch, ein G36 befestigt. Im Lauf der Waffe lagen 3 vertrocknete Rosen, irgendwo zwischen tiefem Rot und vergilbten Zitronenweiss. Es fuhr ihn ein Gefühl durch die Glieder, dass ihm schon fast wieder den Boden unter den Füßen raubte.
In einer schnellen Drehung ging er wieder in die Küche, griff sich eine ozeanblaue Espressotasse und konnte an der Stille der Maschine erkennen, dass sie bereit war. Er füllte das Glas mit heißem Wasser aus dem Zulauf der Maschine, schüttelte die Tasse geübt in seiner Hand, schüttete bis auf einen kleinen Rest des Wassers alles heraus und holte aus einer Schublade einen Süßstoffspender heraus, ließ eine Tablette in das blaue Gefäß fallen und konnte sehen, wie sie sich im Rest des heissen Wassers begann zu zersetzen. Der gereinigte Siebträger lag bereit, den er mit einem grauen Tuch dennoch abwischte, fast schon polierte, das laute Zerreißen der Bohnen war zu hören, während sich braunes Pulver im Korb sammelte. Er stricht es glatt und drückte in einem Halbkreis mit dem Tamper das Pulver nieder. Er drückte den verchromten Kolben in die Brühgruppe der Maschine und, wie eine Waffe, drückte er den Hebel hinunter. Es war kein Virbrieren, mehr ein rauschendes Geräusch, während der dickflüssige Kaffee in die Tasse lief. Mit einem Löffelstiel rührte er den Süßstoff darin um und nahm mit beiden Hände die Tasse zum Mund, leerte die Tasse gierend in einem Schluck. Er ging in eine unscheinbare Ecke zwischen Wohnzimmer und Küche, hinter einer dunkelbraunen Holzwand, die er wie eine Ziehharmonika zusammenklappen konnte, wurde der Parkett von einem grauen Schaumstoff abgelöst. Ein Raum, etwa 15 Quadratmeter groß, offenbarte sich dahinter. Aufeinander abgestimmt standen dort eine Hantelbank mit schwarzen Gewichtsscheiben, verschiedene Kurzhanteln und zwei Geräte, an denen er sich hängen konnte. Ohne viel Aufwärmung legte sich Serafin auf die Hantelbank und griff nach der Stange. Er sprach ein leises „Inshallah“, sein Blick wurde leer und die Stange wurde angehoben. Sein nächtliches Ritual hatte begonnen.

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