Seit geraumer Zeit leisten mir mehrere Minzen in meinem Kinderbüro (so nenne ich mein Büro, in dem auch meine Tochter bald Einzug nehmen wird) Gesellschaft. Angefangen hat es mit einer gewöhnlichen Pfefferminze (Mentha x piperita), die ich im Supermarkt gesehen hatte. Auf der Suche war ich nach einer Minze, mit der ich meine grünen Tees verfeinern kann und auch so mancherlei Gericht. Zwischen all den vitalen Minzen ergreifte eine mein Herz, nämlich die, die versteckt unter den anderen lag, schon mit teils gelben und braunen Blättern verflucht, da sie kaum Licht bekommen hatte, erdrückt unter den Regalen.
Keiner würde sie kaufen, um damit seine Speisen zu veredeln. Doch ich, der Retter der Welt, wollte sie nehmen und sie pflegen. Zeit wollte ich ihr lassen, sich zu regenerieren. In kapitalistischen Zeiten wie diesen, voller Massenproduktion und falschem Makel, wollte ich ihr einen Unterschlupf bieten.
Die zweite Minze (ebenfalls Mentha x piperita) kaufte mir meine Lebensgefährtin eine Woche später, als Zusatz zur gebrochenen Minze. Sie erscheint sehr viel gepflegter, mit kräftig grünen Blättern. Oberflächlichkeit zahlt sich hier aber nicht aus: Schön anzusehen, doch reibt man an den Blättern und riecht anschließend an den Fingern, verfliegt der Mentholgerucht sehr schnell. Also mehr für mich zur Zierde, als zur eigentlichen Nutzung.
Die letzte Minze ist mir ganz speziell. Es handelt sich um eine marokkanische Minze, bekannt als Nanaminze (Mentha spicat var. crispa ‚Marokko‘). In Nordafrika ist der Atay B’Nahna (arab. grüner Minztee) unerlässlich und Teil der Teezeremonie, ihr Mentholgerucht unterscheidet sich von dem der gewöhnlichen Minze. Auch sie hat ihren Platz und wird von mir gepflegt.
Nun, seit ich sie habe, hatte ich immer den Eindruck, dass es ihnen nicht so gut geht. Bei der gebrechlichen Pflanze dachte ich mir noch nicht viel dabei, sie kam so schon zu mir. Aber die vitale Minze und die Nanaminze machten es ihr nach, vefärbten ihr Kleid und verloren Blätter. Gleichzeitg wuchsen aber auch fleissig neue Triebe, was für den Kämpfergeist der Gewächse spricht. Ich dachte, sie müssten sich erst an die Umgebung gewöhnen, ist das Bücherregal nicht der beste Platz für sie, hoch dort oben, besser auf der Fensterbank, wo es doch immer wieder zieht.
Nach wenigen Tagen sah ich sie mir genauer an und erblickte sie, das Grauen der Gärtner. Schon seit ich jung bin, sind sie es, die mir immer wieder begegnen, Erklärungen dafür geben, warum so manch Gewächs nicht so gedeiht, wie man es sich wünscht.
3.000 Arten gibt es von ihr, wobei es für mich immer die selben sind. Sie haben einen Stechrüssel, mit dem sie sich über ihre Opfer hermachen, Vampire der Pflanzenwelt. Infanterie und Luftwaffe gibt es, also geflügelte Dämonen und ungeflügelte Goblins. Wie die Heilige Maria, vermehren sie sich durch Jungfernzeugung, aber man darf sie nicht täuschen lassen! Verführerisch klingt der Honigtau, den sie bei ihren Raubzügen hinterlassen, davon darf man sich nicht blenden lassen. Sie sind älter als Adam und Eva, wahrscheinlich Erzrivalen wie die Schlange, haben sie schon am Apfelbaum im Garten Eden genagt! 280 Millionen Jahre sollen es sein, wurden schon eingeschlossen in Bernstein gefunden.
Einige mögen es schon erkannt haben, an ihren widerwärtigen Methoden: Die Kühe der Ameisen, die gemeine (um nicht zu sagen bösartige) Blattlaus (Aphidoidea). Meine Eltern haben einen wunderschönen Rosenstock, den ich früher am Abend immer gerne besucht habe. Schon dort sind sie in Legionen über frische Triebe hergefallen. Jedes Mal wieder habe ich es versucht, mit Drohungen und Platzverweisen, wie gegen Protestanten habe ich Wasserwerfer eingesetzt. Ohne zu wissen, dass es der größte Fehler ist, den man machen kann: Versetzt man die Tiere in Unruhe, zum Beispiel dadurch, dass sie statt zu fressen sich viel bewegen oder schmeisst man sie von ihrem Wirt herunter, senden Sie einen Alarmlockstoff aus, der dazu führt, dass sie von der Jungfernzeugung zur normalen Produktion übergehen und ihre geflügelten Spezialeinheiten aussenden.
Sonst ist es so, dass die weibliche Blattlaus um die 10 Klone (sie sind uns voraus!) zur Welt bringt und sich im Herbst „fortpflanzt“. Umgesetzt auf den Menschen würde das bedeuten, nur alle 400 Jahre Sex zu haben. So zumindest ein populistischer Artikel auf sueddeutsche.de.
Aber nicht nur das, Blattläuse sind auch Märtyrer: Die Tierchen bilden Gallen an Pflanzen, das sind Geschwüre, in denen sie sich befinden. Diese Gallen werden besonders von Mottenlarven gerne durchbohrt – in diesem Moment opfern sich die Läuse selbst, in dem sie mit ihrem eigenen Körpersaft das Loch wieder verschließen, teils sogar ihren eigenen Körper.
Bei solchen Methoden der modernen Kriegsführung muss man sich nicht wundern, dass selbst der guerrero trastornado schwer ins Wanken kommt. Neige ich sonst bei Schädligen aller Art dazu, mich humanen Mitteln zu bedienen, verliere ich bei diesem Gegner meinen letzten Willen zur Diplomatie.
Allnächtlich, meist also dann, wenn ich meinen grünen Tee mit Minze trinke und mich dabei frage, was wohl meine eigenen Minzen machen, hole ich die Töpfe von meinem Bücherregal. Ich lauere ihnen dann auf, jeder einzelnen Laus. Schon bald zeigt sich dann mein grüner Daumen: Nachdem ich jede einzelnen Soldat mit roher Gewalt und meinen bloßen Fingern zerquetsche. Zur Hilfe geht mir dabei auch eine kleine Spinne, die mit ihrer hohen Webkunst die feindlichen Truppen auf der Nanaminze dezimiert. An dieser Stelle möchte ich diesem göttlichen achtbeinigen (Vishnu, eine Gottheit aus dem Hinduismus hat ebenfalls acht Arme) für diesen Dienst vielmals danken.
Jeden Tag wiederholt sich dieses Gefecht. Manchmal dauert es mehrere Stunden, denn erst dann wandert wieder einer von ihnen aus dem Dickicht, um sich mit mir zu messen.
Inzwischen habe ich mir auch Tötungsmaschinen zugelegt. Fischige Raptoren, die mich bei der Exekution unterstützen. Nimmersatte Mäuler, die sich gierig auf ihre grünen Opfer stürzen, sobald einer von ihnen ihr Territorium betritt. Hechtartige Halbschnäbler (Dermogenis pusillus), artverwandt mit Barrakudas, man könnte jedoch auch an Verwandschaft zu Haien glauben, beobachtet man ihr barbarisches Treiben.
Wirklich, Amnesty International: Ich habe es versucht. Ich habe mit ihnen gesprochen, dabei auf meine langjährige Erfahrung gesetzt. Ich hätte ihnen Ausweichmöglichkeiten angeboten, die gewiss im Winter schwer zu finden sind. Mit harmlosen Wasser wollte ich ihnen eine Chance geben, selbst als ich mit dem Brennnessel-Sud begann, zeigten sie sich sturr. Als dann die ersten „grünen Jets“ damit drohten, auch in benachbarte Städte einzufallen, musste ich handeln.
Dennoch, obwohl ich am Morgengrauen immer als Sieger hervorgehe und die Minzen es mir mittlerweile mit neuen Blättern danken, will ich mich noch nicht zu früh freuen: Ich habe gehört, diese Läuse können sehr schnell Resisdenzen bilden und gehören zu den erfolgreichsten Schädlingen, die die Welt bisher kennt. Wer weiß: Vielleicht täuschen sich mir nur, haben schon längst eine andere Pflanze befallen, hier im Haus. Im Kinderbüro vielleicht schon.
Unsere Minze im Garten ist von meiner Urgroßmutter…